Ai Weiwei in der Albertina modern (Künstlerhaus) Von Andreas Theiner20. März 202220. März 2022Allgemein, Ausstellung, eigene Beiträge Unter dem Titel „IN SEARCH OF HUMANITY“ wird eine Werkschau des chinesischen Künstlers gezeigt.Ai Weiwei möchte uns die Augen öffnen und uns anregen uns mit seiner Sicht auf Gesellschaft und Kultur auseinanderzusetzen. Am Beginn der Ausstellung. Hier der offizielle Text zur Programmatik: IN SEARCH OF HUMANITY Ai Weiwei – berühmt als Menschenrechtsaktivist – zählt zu den einflussreichsten Künstlern unserer Zeit. Seine bislang umfangreichste Retrospektive gibt Einblick in alle Schaffensphasen seiner mehr als vier Jahrzehnte währenden Laufbahn und lässt seine unvergleichbaren ästhetischen Gestaltungsprinzipien erkennen. Die frühen Objekte Ais verknüpfen logisch und funktional nicht zusammengehörige Gegenstände zu einer überraschenden Rätselhaftigkeit: Eine Schaufel zieht sich einen warmen Pelz über, zwei Schuhe paaren sich wie ineinander verkeilte Mistkäfer. Er befreit die Dinge von ihrem Gebrauchswert und fügt Fundstücke zu einer neuen Objektwelt zusammen. Fragmente, Deformationen und Überreste aller Arten bevölkern Ais Werk. In ihm spiegelt sich das Erlebnis der schrecklichen Jahre der „Kulturrevolution“, ihres Vernichtungsfeldzugs im Dienst der maoistischen Umerziehung des Volkes. Das ästhetische Prinzip der Destruktion sensibilisiert den Künstler für die Entdeckung zerstörter Skulpturen, deren Fragmente Ai wie kostbare Reliquien präsentiert. Später – unter dem Eindruck der bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien – fahndet er nach Bruchstücken, die die Zerstörungswut von Krieg anprangern. All diese Readymades – das Laufband von Julian Assange oder der mit geheimem NSA-Material gefüllte Stoffpanda – lassen uns die Welt auf ungebräuchliche Weise wahrnehmen. Ohne das Arrangement der von Flüchtlingen am Strand hinterlassenen Schwimmwesten, die sich wie eine Lotosblume um eine tonnenschwere Kristallkugel legen, würde die Katastrophe der Migranten bald wieder unanschaulich werden: vergessen durch Gewöhnung. Ein weiteres Gestaltungsprinzip ist die Metamorphose. Die Verwandlung mittels Marmor etwa setzt den Dingen ein Denkmal: Es sind Erinnerungen an seine Kindheit, Traumata seiner Gefangenschaft, Türen abgerissener Häuser, die der Modernisierung Chinas zum Opfer gefallen sind. Ai präsentiert seine Handschellen im kostbaren Gefäß einer edlen Vitrine oder stellt steinerne Monumente auf einen Sockel. Ertrunkene Flüchtlinge, von Heuschrecken leergefressene Kornfelder oder die Navigationsroute der Sea-Watch 3 baut Ai aus bunten Legosteinen zu beunruhigenden Bildern. Lego, das berühmteste Spielzeug der Welt, verliert seine kindliche Unschuld. Der visuelle Scherz bekommt eine tiefere Bedeutung. Die von diesen Metamorphosen ausgehende Verwirrung, die Verwandlung von Dingen in unbrauchbare Monumente, öffnet das Tor zu weitreichenden politischen Assoziationen und Interpretationen. Nie war Konzeptkunst anschaulicher, sinnlicher und engagierter. Ais Lebenslauf kurz zusammengefasst. geborstene angerostete Teile von Containern stehen für Zerstörung und verloren gegangene Heimat. Eine gewisse Ästhetik steht aber dem beklemmenden Eindruck dieses Objektes gegenüber. komplexe Auseinadersetzung mit dem Thema: FAHRRÄDER Das erste Fahrrad-Objekt Ai Weiweis entsteht 2003. Wie schon in seinem Frühwerk bezieht er sich damit auf Marcel Duchamp und dessen Readymades, konkret auf das Fahrrad-Rad (1913), für das Duchamp ein Vorderrad samt Gabel verkehrt herum auf einen Hocker montiert hat. Das Fahrrad hat in China eine ganz eigene Bedeutung, denn das Land galt lange als Fahrradnation. Ai selbst hat als Kind erlebt, wie wichtig es war, ein eigenes Fahrrad als Fortbewegungsmittel zu besitzen. Noch in den späten 1980er-Jahren gibt es in China kaum motorisierte Privatfahrzeuge, die Fahrräder dominieren den Stadtverkehr. Im Laufe der Jahrzehnte wird sich das ändern. Die Städte wachsen, und die Distanzen sind nicht mehr mit dem Fahrrad zu bewältigen. Immer mehr Menschen können sich ein Auto leisten und steigen um, was zur hohen Smogbelastung in den chinesischen Großstädten beiträgt. Alle diese Aspekte vereint Ai in seinen Fahrrad-Werken. Er zieht dafür meist ein bestimmtes Fabrikat der Shanghaier Marke Forever heran. Ai montiert die Fahrräder so aneinander, dass sie nicht mehr funktionstüchtig sind, ohne Lenker, Pedale und Ketten, teils ohne Sattel. Er spielt damit auf die chinesische Bevölkerung an, auf deren Synchronisierung und Uniformierung, deren Zusammenspiel als Kollektiv, das jedoch dem Einzelnen kaum Bewegungsfreiheit ermöglicht. in diesem Raum steht die ablehnende Auseinandersetzung mit Etabliertem im Mittelpunkt. weitere Ansicht in dem Raum, der mit einer Thementapete ausgekleidet ist. „Stinkefinger“ als Zeichen der Auflehnung/Ablehnung. 2010 schuf Ai Weiwei diese 12 Skulpturen. Das Projekt erinnert an die Plünderung des kaiserlichen Sommerpalasts Yuanming Yuan nahe Peking durch französische und britische Truppen 1860, bei der zwölf solcher Skulpturen geraubt wurden. Fünf davon sind bis heute verschwunden. Ai Weiwei hat sich deshalb an eine behutsame Neuinterpretation der historischen Vorbilder gewagt. Es folgen die zwölf chinesischen Tierkreiszeichen. Ich beginne mit dem Drachen, weil er mir besonders gut gefällt, und ein Symbol für China darstellt. De Reihenfolge ist korrekt, nur müßte der Kreis mit der Ratte beginnen. die Schlange das Pferd die Ziege der Affe der Hahn der Hund das Schwein die Ratte der Büffel der Tiger der Hase ein Blick in den Raum, in dem der Tierkreis angeordnet ist, umgeben von Pixelbildern. Es sind aus Legosteinen nachgebildete Darstellungen der Figuren. als Beispiel: die Ziege hier das Detail der LEGO – Pixel-Grafik Ein anderer Raum wird dominiert von einer monumentalen Schlange, die aus lauter Rucksäcken gebildet ist. Sonst befinden sich hier eine Große und 6 kleinere Diorama-Boxen. Nachdem in Sechuan in China 2008 bei einem Erdbeben über 5.000 Kinder beim Einsturz einer Schule ums Leben kamen, setzte sich Ai Weiwei für Recherchen über die Ursache der minderwertigen Bausubstanz im Schulwesen ein. Das brachte ihn mit der Obrigkeit in Konflikt und er wurde arrestiert. Die Idee für die Schlange aus Rucksäcken kam ihm, als er auf dem Einsturzgelände zahlreiche Rucksäcke ums Leben gekommener SchülerInnen entdeckte. Foto der Beschreibung des Objektes: Decken-Schlange. Gut zu erkennen der Ausschnitt aus der Tapete, die den ganze Raum auskleidet. Die große Box ist eine begehbare 1:1 Nachbildung der Arrestzelle. Die Beschreibung zu den 6 Dioramen in den kleineren Boxen, die jeweils durch ein Zellenfenster betrachtet werden können. Blick in die erste Box: S für Supper – minutiös dargestellt. „Hangin Man“ (1985); einfach aus einem Kleiderhaken gebogen. Schuh Kreis (1986) Violine in Schuhe eingeschnürt Neolithische Vase mit CocaCola-Logo (1994) Holz und Metall dominieren diesen Raum „Die Bäume sind Totholz aus den Gebirgen der Provinz Jiangxi. Diese Äste wurden entweder vom Blitz getroffen oder einfach zu alt, und man hat sie jahrzehntelang sich selbst überlassen. Also dachte ich, es wäre schön, sie wieder zu einem Baum zusammenzufügen, aber aus unterschiedlichen Baumarten, von 100 verschiedenen Orten stammend. Wir haben sie so montiert, dass sie sämtliche Details eines gewöhnlichen Baums aufweisen. Zugleich empfindest du ein Unbehagen, Irgendetwas ist seltsam, ungewohnt. Es ist, als würde man versuchen sich vorzustellen, wie der Baum einmal ausgesehen hat.“ diesen angeordneten Metallteilen ist eine zweidimensionale Projektion in der Tapete gegenübergestellt. Skulptur aus dreibeinigen Hockern. Sowohl die Skulptur selbst, als auch der Schattenwurf strahlen eine eigene Ästhetik aus. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass hier nicht einfach Hocker zusammenmontiert wurden, sondern teils komplexe Verbindungen bestehen, indem einzelne Beine gleichzeitig mehreren Hockern zugehören. „Landkarte von China besteht aus dem Holz eines alten Tempels, der aufgrund von Baumaßnahmen abgerissen wurde. Ich werde oft gefragt, ob hier eine bestimmte politische Aussage dargestellt ist, doch wurde die Arbeit dem Material und dessen Möglichkeiten folgend angefertigt. Sämtliche Verbindungen wurden entsprechend jeder einzelnen Form ausgeführt. Das Hauptproblem bestand in der Lösung der Aufgabe, 100 Teile fest und exakt zusammenzuhalten. Die Landkarte ist hier nur die äußere Form.“ bei genauem Hinsehen finden sich hier Jahresringe, Leimstellen und Risse, die wieder eine kartographieähnliche Struktur ergeben. Dieses Werk ist eine Lege-Nachbildung des berühmten Gemäldes Der Raub der Töchter des Leukippos (1618) von Peter Paul Rubens. Den Putto am linken Rand ersetzt Ai durch einen Panda, der dem Geschehen nun am Rande unbemerkt beiwohnt. Dass der Künstler bekannte Werke, Ikonen der westlichen Kunstgeschichte, heranzieht, sehen wir in einigen seiner jüngsten Lege-Arbeiten. Er verändert sie leicht und passt sie dadurch an die Themen der heutigen Zeit an. Detail des LEGO-Bildes. Selbst alltägliche Dinge erhalen durch die Darstellung in edlem Material plötzlich herausragende Bedeutung. Ob Melone, Überwachungskamera, Schutzhelm, Sessel oder Rutschauto. Das Rutschauto, fein nachgebildet in edlem Marmor. Möbelskulpturen Mit dem kulturellen Erbe und dem Umgang mit Kulturgütern befasst sich Ai Weiwei auch in seinen Arbeiten aus Holz. Für die Möbelskulpturen greift er auf traditionelle chinesische Einrichtungsgegenstände zurück und lässt diese von versierten Tischlern nach seinen Vorstellungen umbauen. Dabei legt er Wert darauf, dass die gleichen historischen Kunsthandwerkstechniken verwendet werden, die bereits seit Ewigkeiten in Chinas Möbelherstellung Anwendung finden, wobei unsichtbare Steckverbindungen die einzelnen Teile zusammenhalten und die Arbeitsweise dem Material folgt. Nichts Neues wird hinzugefügt, nichts Altes, das entfernt wurde, geht endgültig verloren. Durch die Neuanordnung verlieren die Möbel ihre Funktionalität. Sie werden auf eine schockierende Weise zwecklos, indem sie vom realen Gebrauch ausgeschlossen werden. Als Kunstwerke erfüllen sie jedoch nun einen neuen Zweck. Die Werkgruppe aus bizarren Tischen und surrealen Arrangements einfacher Sitzhocker knüpft in ihrem Witz an Ais frühe Arbeiten in New York an, an den Dadaismus und dessen Lust an der Zerstörung. Ein Tisch springt mit drei Beinen in die Ecke, ein anderer lehnt sich faul an die Wand. mit zwei Beinen an der Wand; Fussball dreibeiniger Tisch diese gestapelten Vasen sind tatsächlich in traditionellem Stil mit aktuellen Szenen neu gestaltet und kombiniert. Auseinandersetzung mit Mao Zedong Schwimmwesten, eine Glaskugel und ein LEGO-Bild nach einem Foto, in dem Ai Weiwei eine an den Strand gespülte Person nachstellt. Odyssee, (2017) Tapete (in den Screens werden Flüchtlingsszenen gezeigt.) … der Kontext der Flüchtlingskrise ist wesentlich breiter. Unterschiedliche Geschichten, regionale und religiöse Konflikte, wirtschaftlicher Druck und Umweltkrisen haben zu dem beigetragen, was wir als Flüchtlingskrise begreifen. Mein Team und ich untersuchten dies, beginnend bei den frühesten menschlichen Wanderungsbewegungen, die bis ins Alte Testament zurückreichen. Besonders für die Tapete versuchten wir eine visuelle Sprache zu entwickeln, die unmittelbar beeinflusst war von frühen griechischen und ägyptische Reliefschnitzereien, Tongefäßen und Wandmalereien. In diesen Kontext setzten wir die neuen Konflikte mit Bildern, die wir auf Social Media und im Internet fanden, sowie Bildern von Ereignissen, in die ich selbst involviert war. Jenseits der Bilder zogen wir auch Literatur sowie die politischen Verhältnisse der verschiedenen Epochen in Betracht. Es dauerte über ein halbes Jahr, bis die Zeichnung vollendet war. Sie bezieht sich auf sechs Themen: Krieg, die Ruinen des Krieges, die Reise der Flüchtenden, die Überquerung des Meeres, die Flüchtlingslager sowie die Demonstrationen und Proteste.“ Ai Weiwei Szenendetail aus der Tapete – der antike Stil der Darstellung, der unst den aktuelle Probleme und Nöte vor Augen stellt, löst Beklemmung aus. Szenendetail aus der Tapete Szenendetail aus der Tapete Ladestation eines Flüchtlingslagers (2015) Dieses Fundstück, das Ai Weiwei zum Kunstwerk deklariert, (á la Readymade von Marcel Duchamp) stammt aus einem aufgelassenen Flüchtlingslager. Die Telefonzentrale zählt in jedem Lager, wo Kommunikation alles bedeutet, zum belebtesten Ort, an dem Tausende von Menschen versuchen, mit ihren in der Heimat zurückgelassenen Familien in Kontakt zu treten, sich über die beste Route nach Europa zu informieren oder um an Ladestationen wie dieser ihr Handy aufzuladen.